Artikel, Neustädter Anzeiger 08-2020, Episoden aus der Geschichte unseres Rathauses
Quelle:
https://ol.wittich.de/titel/3451/ausgabe/8/2020/artikel/00000000000022891540-OL-3451-2020-33-8-0
https://www.neustadt-glewe.de/amtsblatt/index.php#gazette_49782
--------------------------------------------------------------
Im 13. Jahrhundert ist in vielen größeren Städten Norddeutschlands der Burgvogt, Schultheiß oder Burggraf als Vertreter des obersten Stadtherrn abgelöst. Ein von wohlhabenden Bürgern gewählter Rat gibt sich eine Ratsverfassung, legt darin seine Aufgaben fest, übernimmt die Selbstverwaltung der Stadt und ihre Gerichtsbarkeit.
Neustadt-Glewe, eine Stadt von besonderer Bedeutung, erhält zudem schon früh das Siegelrecht.
Bernhard und Adolf, Grafen von Dannenberg, schreiben 1253 an die Ratsherren und Bürger der Stadt Lübeck wegen eines angeblich von ihren Leuten begangenen Pferdediebstahls und bitten, wenn der Stadt durch ihre Leute Schade zugefügt sein sollte, deshalb zwei ihrer Untertanen nach Neustadt-Glewe zu senden, um den eventuellen Schaden auszugleichen. Obwohl diese Urkunde nicht direkt unsere Stadt betrifft, enthält sie die älteste gesicherte bekannte schriftliche Erwähnung der Stadt als Neustadt.
Das Rathaus als Verwaltungs- und Repräsentationsgebäude, zumeist am Marktplatz gelegen, ist Symbol der neuen erreichten Unabhängigkeit und Sitz der Ratsherren. Im meistens reich ausgestatteten Ratssaal, wird über politische, wirtschaftliche und rechtliche Interessen entschieden. Zudem dient der bedeutendste Raum des Hauses der Ausrichtung von Festen und Banketten an einer gut gedeckten Ratstafel.
Auf dem Marktplatz vor dem Haus wird nicht nur Markt gehalten, mit Produkten und Gütern aus Handwerk und Handel. Hier werden die versammelten Bürgerinnen und Bürger regelmäßig über neue Verordnungen unterrichtet- Steuern, Reinhaltung von Straßen und Plätzen, Schutz vor Feuer, Kleiderordnungen … und sie wohnen bei Nichteinhaltung dem Vollzug ausgesprochener Strafen bei.
Oberster Repräsentant der Stadt und des Rates wird spätestens seit dem 14. Jahrhundert ein Bürgermeister, gewählt aus ihren eigenen Reihen.
Es ist der 17. September 1716, als Bürgermeister und Rath von Neustadt wegen eines Rathausneubaues dem Durchlauchten Fürsten und Herrn, Herrn Carl Leopold, Hertzog zu Mecklenburg, Fürst zu Wenden Schwerin und Ratzeburg, auch Graf zu Schwerin, der Lande Rostock und Stargardt Herr, ein Bittschreiben senden:
„Seiner Hochfürstl. Durchl. Müßen wir in Unterthänigkeit zu vernehmen geben, daß wir vor einigen Jahren gesonnen gewesen, unser Altes Baufelliges Rahthauß, weilln man sich nicht getrauen dürffen lenger dareinzugehen nieder zu nehmen, und nachgelegenheit ein anders wiederaufzubauen, da nun aber Ihre Hochfürstl. Durchl. Herr Hertzog Friedrich Wilhelm Hochseeligen andencken, den anfangk bey den Neuenschloßbau machen laßen, und … eine große Breite regulierStraße, von dem Neuen Schloße ab durch die Stadt hinauß anlegen zu laßen, In welcher gerahden Lienie Eben unser altes Rathauß stehet … und uns anderen Platz zum Marckte und Rahthauße angewiesen werden sollte …“
Der durch Herzog Friedrich Wilhelm (regierender Herzog 1692 - 1713) beabsichtigte neue Straßenverlauf, eine „große Breite regulierStraße“, ist auf beigefügter Karte aus dem Jahre 1711 ablesbar. Zur Umsetzung kam es offensichtlich nicht. Auch ein anderer Platz zum Markt und Rathaus wird nicht festgelegt, denn Bürgermeister und Rat klagen weiterhin, dass es nun bisher dabeigeblieben, denn seit einigen Jahren seien die Kriegsunruhen eingefallen und das Holzwerk des Rathauses steht noch auf der alten Stätte „und immer mehr und mehr verfaulet“. Sie bitten es niedernehmen zu dürfen und auf selber Stätte ein neues kleines Rathaus bauen zu dürfen, weil die Bürgerschaft bisher in des Bürgermeisters Haus zusammenkommen müssen, „woselbst sie nich´t den respect geben, alß wann sie aufn Rathauße sein“ und zudem „auch bei der Stadt keine Gefengknißen, oder Gelegenheiten, die Ungehorsahmen damit zu bestrafen vorhanden. Es sint zwar die mittell bey hiesiger Stadt und der Bürgerschafft nicht vorhanden. So treibet unß doch die Noht darzu, weilln wir ohne ein geringes Rathaus nicht lenger können unser Amt verwalten.“ Im Folgenden bitten die Stadtväter um eine „gnädige Beyhülffe“.
Am 08. Mai 1717 klagen Bürgermeister und Rat, dass sie am gestrigen Tage begonnen haben das baufällige Rathaus nieder zu nehmen, weil sie täglich ein Unglück befürchteten und dadurch Menschen und Vieh zu Schaden kommen würden. Doch haben sich Nachbarn und auch andere Bürger unterstanden, zwischen 8 und 9 Uhr morgens, als die Arbeitsleute zum Essen gegangen waren, das herunter genommene Holz (Sparren, Riegel, Brandholz und Ständer, wie auch eichene geschnittene Latten), zusammen mit guten eisernen Nägeln, die viel gekostet … nach Ihren Häusern heimlich ohne Erlaubnis wegzutragen. Die Ratsherren bitten um ein herzogliches Mandat, das keiner sich unterstehen soll, das geringste Stück Holz wegzunehmen, damit das gute Holz zum Bau wieder genutzt werden kann und das unbrauchbare zum Besten der Stadt verkauft werden. Diejenigen, die bereits Holz und Eisen weggetragen, sollten mit einer Geldstrafe bedacht werden, die man zum neuen Bau nutzen könnte und diejenigen, die sich zukünftig unterstehen würden, mit einer doppelten Strafe versehen werden.
So geschah es mit Schreiben des Herzogs vom 15. Mai 1717.
In den nächsten Jahren wird das Rathaus durch Zimmermeister Hans Hübner und Michael Büttner neu erbaut. „Von einer frühreren Prediger Hand verzeichnet“ erfahren wir schon 4 Jahre später: Anno 1728. Zwischen dem 26. Und 27. Juli in der Nacht vom Montage auffn Dienstage, von 1 Viertel vor Zwölff bis 2 Uhr, ist unser Neustadt von Gott mit einer schrecklichen Feuers-Brunst heimgesucht und schier gantz Neustadt mit der Kirche und beiden Prediger-Häusern in die Asche elendiglich geleget worden …“ Auch das neu erbaute Rathaus fiel den Flammen zum Opfer. Ein schwerer Schlag, an dem Neustadt Jahrzehnte lang gelitten hat, heißt es.
In dieser für die Einwohner der Stadt besonders harten Zeit erfahren wir über den egoistischen Bürgermeister Nicolaus Böteführ, dass er mit 10 Talern Jahresgehalt seine Familie nicht ernähren konnte. „Zwar verdiente er als Stadtschreiber auch noch manchen Schilling nebenher, auch als Steuereinnehmer steckte er noch ein kleines Sümmchen in seine Tasche. Außerdem braute er ein gutes Bürgermeisterbier, braute und schenkte einen bekömmlichen Branntwein, und mancher Scheffel Malz wanderte nach Schwerin und Hamburg. Aber seine Hauptnahrung mußte er wie der Arzt, Apotheker, Pastor, Rektor und alle übrigen Bürger aus der Landwirtschaft ziehen. Als nun aber eines Tages an seinem Hause ein Bäckerschild prangte, und er Brot und Semmeln in seinem Hause verkaufte, konnten sich die Bäcker diesen Verstoß gegen ihre Privilegien nicht gefallen lassen ……..“ Sie richteten sich an den Herzog und bekamen Recht. „Gift und Galle spuckte der Bürgermeister“, schreibt ein Zeitzeuge 1742.
1748 ergeht erneut eine Bitte an den Herzog, Holz für ein neues Rathaus zur Verfügung zu stellen. Nachdem jedoch die Pläne zum Neubau scheitern, wird von 1753 bis 1784 das Rathaus im Wohnhause des Bürgermeisters Engel eingerichtet. Bürgerhäuser als Rathäuser einzurichten, ist nicht ungewöhnlich. Nicht jede Stadt kann sich den Bau eines repräsentativen Rathauses leisten.
1785 kauft die Stadt das Haus des 1 Jahr zuvor verstorbenen Bürgermeisters Engel (heute Markt 5) für 850 Reichstaler und es wird zum Stadthause. Unvermittelt wird der Beschluss zum Bau eines neuen Rathauses gefasst.
Das Stadtsäckel ist offenbar gut gefüllt. Eine Chronik berichtet aus dem Jahre 1793: „Das Gehalt des Bürgermeisters ist von 100 Rth auf 156 Rth bestimmt.
Weiter lesen wir: 1802. „Zum RathHause ist das Fundament aufgemauert und MauerSteine angefahren. Den 26. Juli ist der GrundStein gelegt. Ausgabe zum RathHause in diesem Jahre 1000 Rth. Die Stadtschulden betragen dem ungeachtet beym Jahresabschluß nur 1272 Rth. Die ArmenReihe und alle Betteley ist gänzlich aufgehoben.
Während der Baujahre, am 27. März 1804, wenden sich Bürgermeister und Rat erneut an den Herzog: „Bisher hat das hiesige publicum nach keiner anderen Uhr die Eintheilungen der Zeit bestimmen können, als nach derjenigen, die sich auf dem alten hiesigen Schloßturm befindet. Diese ist aber so sehr alt, wandelbar und ausgeschliffen, daß sie bei jedem frostwetter und oft auch bei stürmischer Witterung in Stillstand geräth und zuweilen Wochen, ja wohl eher Monate lang nicht wieder im Gang zu bringen ist. Es wird daher bei dem hieselbst errichteten Rathause die Einrichtung einer Schlageuhr eins der vorzüglichsten Bedürfnisse.“ Sie verweisen dabei auf Teile einer alten Wasseruhr, die in Ludwigslust nicht mehr benötigt wird.
Am 29. Mai, wird der Knopf auf dem Rathausturm angebracht und zur Erinnerung mit Urkunden und Münzen versehen. Bereits am 10. Juni heißt es in einem Dankesschreiben: „Die Glocke war mit der Jahreszahl 1499 und der Inschrift: Ad Honorem Dei et Semper beatae virginis versehen und nach jenen unseren Gefühlen haben wir es uns erlaubt, solche auch für die Zukunft zum ferneren Gedächtnis auszudrücken, daß wir unter jener Inschrift die Worte eingraben lassen: Des Durchlauchtigsten Herzogs Friedrich Franz Geschenk zum Rathause 1804.“
1805 ergeht ein weiteres Bittersuchen an den Herzog: „Da das hiesige Rathhaus soweit vollendet ist, daß dasselbe auf Ostern gebraucht werden soll, so können die inneren Wände desselben keine edlere und schönere Zierde erhalten, als wenn unsere Commune des Glücks sich rühmen dürfte, eine Reihe Folge der Gemälde der regierenden LandesFürsten auf dem Rathause zu besitzen. Bei den Versammlungen der Raths- und Gerichts Persohnen, so wie der Steuer=Bedienten, in jedem der hierzu besonders bestimmten Zimmer auch in den Versammlungen der Bürgerschaft auf dem Saale, gewährt der Anblick der Fürsten, die das Vaterland als Herrscher beglückten, die erhabensten und feyerlichsten Gefühle …….“
Schon 1847 wird der Turm des Rathauses umgebaut und 1879 morsche hölzerne Säulen und Gitter durch eiserne ersetzt. Zimmermeister Eduard Müller hat sie für 1.700 Mark angefertigt.
1897 erhält das Rathaus durch Firma Horney und Rödler, eine Zentralanstalt für Landmaschinen, elektrischen Strom und moderne Beleuchtung.
100 Jahre später, im Jahre 1992 beginnt nach Aufnahme der Stadt ins das Städtebauförderprogramm des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit ersten Arbeiten im Dachbereich die vollständige Sanierung des Rathauses. „Die bisherige Nutzung für Verwaltungszwecke war stark beeinträchtigt durch erhebliche Missstände und Baumängel im konstruktiven und bauphysikalischen Bereich sowie durch mangelhafte technische Ausrüstung und unzureichende Nutzungsflächen. Das ursprünglich schöne Fassadenbild erlitt starke Beeinträchtigungen durch erhebliche Putzschäden, defekte Fenster und störende Nebenanlagen.“, heißt es in der Bestandsanalyse der Gesellschaft für Ortsentwicklung und Stadterneuerung mbH.
Bei Abnahme des Glockenturmes im Februar 1993 werden durch einen Zimmermann in der Kugel der Turmspitze drei Kupferbehälter geborgen, die wertvolle Münzen aus den Jahren 1764 bis 1804 enthalten. In einem Behälter eingraviert die Jahreszahl 1880, durch Schlossermeister Boltz.
Nach vierjähriger Unterbrechung und kompletten Auszug der Verwaltung, setzt sich die Sanierung des Rathauses im Jahre 1998 fort.
Am 02. August 1999 stoßen die Maurer bei Arbeiten im Foyer auf eine im Sandbett eingelagerte Holzschatulle, die wiederum eine stahlblechverzinkte Kassette enthält. Hierin befindet sich ein in Blei gefasstes Glaskästchen mit einem Schweriner Staatskalender von 1804, 16 Seiten “Fragmentarisch hingeworfene Notizen“,15 Münzen jener Zeit, sowie 5 Seiten „An die Nachkommen über den Bau dieses Rathauses“.
„Bei dem Bau dieses Rathauses sind Werkmeister gewesen der im Februar laufenden Jahres verstorbene Aeltermann Bresler, der Aeltermann und Amtsmaurermeister Frey, der Amtszimmermeister Riebe.
Der erstere hat gewöhnlich zwei Gesellen, jener zwölf Gesellen und letzterer vier Gesellen außer den Lehrburschen und Tagelöhnern bis hierher zum Bau gebraucht. Der Grundstein ist gelegt am 26ten Juli 1802, hoffentlich wird der Bau im Herbst 1805 vollendet, der Kosten-Anschlag läuft auf 6700 Reichsthaler, ohne Holz, Steine und Kalk …“.
Weiter heißt es: „In der Stadt sind 175 steuerbare Bürger-Häuser und gegen 900 Menschen mit den Kindern. Die Kämmerei hat 1400 bis 1900 Reichthaler an fester Einnahme, 1100 bis 1400 Reichsthaler an Ausgaben. Die Stadt hält an Bedienten einen Rathsdiener, einen Kämmerei-Diener, zwei Holzwärter, die auch Pfänder sind, zwei Nachtwächter, einen Thorwärter, fünf Hirten ….
Die völlige Ausbauung des Rathauses ist, weil andere Arbeiten vorgezogen worden, bis jetzt verzögert.“
Neustadt am 20ten März 1806
In einem letzten feierlichen Akt wird am 08. April 1806 nachmittags 5.00 Uhr eine Urkunde zum Rathausneubau eingangs linker Hand vor der Treppe über dem Kellergewölbe eingemauert.
In wenigen Monaten werden seit dem letzten feierlichen Akt unserer Altvorderen 215 Jahre vergangen sein. Anlass genug, um am 08. April 2021 nachmittags 5.00 Uhr die uns in einem Kästchen hinterlassenen historischen Zeugnisse in ihrer Gesamtheit, mit aller Sorgfalt auszustellen.
Fortan zu sehen, zu lesen und zu bestaunen im Foyer des Rathauses …
In den letzten Wochen erhielt das Rathaus ein neues Antlitz, basierend auf Farbuntersuchungen der GOS während der letzten Sanierungsphase. „An den Fassaden wurden bis zu 10 verschiedene Farbfassungen festgestellt. Von besonderem Interesse ist die 1. Farbfassung, welche der Bauzeit 1806 zuzuordnen ist. Die Untersuchungen haben ergeben, dass damals das Rathaus monochrom grauocker gestrichen war. Die Fenster und die Haustür waren mit einer Holzimitation gestaltet. Während das Balkongeländer einen schwarzen Anstrich hatte, waren die Jahreszahl und die Ziffern der Sonnenuhr im Dreiecksgiebel, sowie die Uhr und die Kugel des Dachreiters vergoldet.“
Damit endet unser kurzer Diskurs durch die Baugeschichte des Neustädter Rathauses. Nicht alles ist hier geschrieben. So bleibt auch der Marktplatz fast unerwähnt. Schon aus dem Jahre 1769 erfahren wir, das auf dem Markt Pumpen angeschafft sind. Und 1838 beklagt sich Zimmermeister Müller, der für die Erhaltung der städtischen Pumpen verantwortlich ist, beim Magistrat über seine geringe Entlohnung. Gerade im Winter bei starkem Frostwetter ist die Mühe „vergrößert indem ich mich nach Abrufen der Nachtwächter genöthiget sehe, die Pumpen zu schützen und durch einen Menschen berühren zu lassen“. Zu dieser Zeit werden für die Stadt 10 Pumpen genannt.
1864 finden dreimal im Jahr Kram-, Vieh- und Pferdemärkte statt, ab Frühling 1891 auf Beschluss der Stadtväter Wochenmärkte.
1935 schreibt Stadtdiener Bötefür: „Zum heutigen Schweinemarkt waren 119 Ferkel angefahren. An Standgeld habe ich den Betrag von 11,90 M erhoben.“
Der Marktplatz ein Handelsplatz.
Die Techniker des Städtischen Technikums empfehlen 1905 hingegen eine andere Nutzung, wie aus nachgefügter Abbildung in einer Bierzeitung ersichtlich …
Britta Kley
Verantwortliche Burg, Museum/Galerie, Stadtinformation
038757 50065
----------------------------------------------------------------------------------------