20.07.2020, SVZ
Dénise Schulze NEUSTADT-GLEWE Der Geruch steigt Heinrich Thiele manchmal heute noch in die Nase. Der Gestank der Chemikalien, die eingesetzt wurden, um aus Tierhäuten Leder herzustellen. Heinrich Thiele ist gelernter und studierter Gerber. Und er war der letzte aktive Geschäftsführer des Lederwerkes Neustadt-Glewe, bevor dieses 1993 abgerissen wurde. Anlässlich des 110. Jahrestages der Gründung des Betriebes wurde am Sonntag eine Ausstellung auf der Burg Neustadt-Glewe eröffnet. Für Heinrich Thiele und viele ehemalige Mitarbeiter eine Reise in die Vergangenheit.
Fast auf den Tag genau vor 110 Jahren wurde die Genehmigung für den Bau einer Lederfabrik in Neustadt-Glewe erteilt. Die Urkunde vom 21. Juli 1910 hängt in der Hofstube. Auf diversen Fototafeln wurde die Geschichte des Lederwerkes vom Kultur- und Heimatverein Neustadt-Glewe unter der Leitung des Vorsitzenden Peter Warnecke zusammengetragen. Von der Gründung 1910 bis zum Abriss 1993. Zeitungsartikel, Bilder, Urkunden, Einladungen, Lederstücke, Bücher und sogar kurze Videos erzählen die Geschichte des Werkes. Stille Zeitzeugen, wie sie Bürgermeisterin Doreen Radelow in ihrer Eröffnungsrede nennt. Aber auch viele echte Zeitzeugen, ehemalige Mitarbeiter sind zu der Ausstellungseröffnung gekommen. So wie Heinrich Thiele, den viele Besucher noch kennen und mit ihm über die gemeinsame Zeit ins Gespräch kamen.
1969 fängt Heinrich Thiele als Ingenieur beim Neustädter Lederwerk an. „Dann habe ich Karriere gemacht, wie man so schön sagt. 1990 wurde ich Produktionschef und dann alleiniger Geschäftsführer. Ich wollte das nicht, aber die Wirren der Wende haben es erfordert“, erinnert sich der heute 77-Jährige. Drei Jahre lang leitet Thiele die Geschäfte alleine, ehe er einen Partner aus Osnabrück an seine Seite bekommt. Für Heinrich Thiele ist es vor allem wichtig, dass die Menschen verstehen, welche enorme Bedeutung das Lederwerk für die gesamte Region hatte. „Die Arbeiter kamen ja von überall her. Von 1400 Mitarbeitern arbeiteten 600 in der Produktion, der Rest in vielen weiteren Zweigen des Betriebes.“ Auch auf den örtlichen Sportverein, die Freiwillige Feuerwehr und den Wohnungsbau habe das Werk großen Einfluss gehabt.
Bis 2008 arbeitet Heinrich Thiele noch in einem Nachfolgebetrieb des Lederwerkes, ehe er in Rente geht. Viele Unterlagen und Bilder aus der Zeit hat er damals in das Museum der Stadt gebracht. „Das war eine Zeit, an die ich aber nicht nur gute Erinnerungen habe. Noch heute bewegt es mich sehr, all das hier wieder zu sehen.“
Auch Angelika Dumann kann sich noch genau an Heinrich Thiele erinnern. Als 16-Jährige beginnt sie ihre Ausbildung zur Chemielaborantin im Lederwerk und arbeitet dort bis 1996, bis der Abriss der Produktionsstätte beendet ist. „Meinen Betriebsausweis von 1975 habe ich immer noch, den kann ich einfach nicht wegschmeißen“, erklärt die 61-Jährige. Als sie von der Ausstellungseröffnung erfährt, trägt sie sich den Termin sofort in den Kalender ein. „Es war einfach eine besondere Zeit. Und ich hoffe, dass die Ausstellung noch lange hängen bleibt, und dieser wichtiger Teil der Neustädter Geschichte nicht einfach in der Schublade verschwindet.“
Bis Ende September soll die Ausstellung in der Hofstube zu sehen sein. Wer noch Bilder oder andere Unterlagen vom Lederwerk hat, kann sich an den Kultur- und Heimatverein wenden.
Eine Reise in die Vergangenheit: Heinrich Thiele, ehemaliger Geschäftsführer, und die damalige Chemielaborantin Angelika Dumann
Für die zeitweise bis zu 1600 Mitarbeiter wurde regelmäßig die Betriebszeitung "Unser Leder-Echo" veröffentlicht
Hier geht es zur Ausstellung "110 Jahre Lederwerk Neustadt-Glewe" (bitte anklicken)
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Auskunft zu der Ausstellung erteilt:
Herr
Gerhard Düker